Course overview
Einheit 4: 4.2 Elektronische Patientenakte (ePA)

Grundsätzlich soll die elektronische Patientenakte (ePA [37]) dazu beitragen, dass die zukünftige medizinische Behandlung verbessert wird. So sollen in einer Datenbank (ob zentral oder dezentral geführt [38])

  • Anamnese,
  • Behandlungsdaten,
  • Medikamente,
  • Allergien sowie
  • weitere Gesundheitsdaten (Operationen, Krankheitsverläufe, usw.) 

sektoren- und fallübergreifend gespeichert werden.

Auf diese Weise sollen z.B. Unverträglichkeiten bzgl. Medikamente/Inhaltsstoffe [39] weitestgehend verhindert, geplante Operationen [40] mit Informationen über mögliche (Vor-)Erkrankungen besser geplant [41] oder für (weiterführende Differential-)Diagnosen wichtige Hinweise hinterlegt werden.

Ziel ist es, Ärzten (inkl. Zahnärzte), Apothekern (vgl. hierfür Unterpunkt 4.6) und Pflegepersonal ohne großen Zeitverlust einen Abruf wichtiger Daten zu gewährleisten und so (umgehend) den Patienten entsprechend (schnell) behandeln zu können [42]. Gleichzeitig soll aber der Patient darüber entscheiden können, ob überhaupt und falls ja, welche Daten in der ePA gespeichert werden [43]. Auf Grund dieser Freiwilligkeit in der Bereitstellung der elektronischen Daten ist es schwierig einen definierten Speicherort bereitzustellen. Daher werden sowohl zentrale wie auch dezentrale Umsetzungsvarianten diskutiert. Nach Beyer et al. gibt es allerdings „in Deutschland […] derzeit kein einheitliches Konzept für die Umsetzung der elektronischen Patientenakte. Auch existieren keine flächendeckenden, standardisierten und sektorenübergreifenden ePA-Anwendungen.“ [44] Diese werden in Deutschland gegenwärtig in regionalen Modellversuchen evaluiert. 

4.2.1 Arztgeführt

Nachfolgend soll ein Beispiel den Einsatz einer arztgeführten ePA erläutern, vgl. Abbildung 3:

Bei einer Arzt-Konsultation ist normalerweise ein vom Patienten (1) wahrgenommenes Symptom (2) der Auslöser für den (ersten) Arztkontakt. In der Regel ist die erste Maßnahme seitens des Arztes die Anamnese (3). Die indikationsbezogene Maßnahme (4) wird dokumentiert (5) und das Ergebnis als Freitextnotiz (in einer Arztpraxis) oder in standardisierten Formularen (Klinikum; vgl. eFA) festgehalten. Das Ergebnisdokument umfasst den Befund, der sich aus verschiedenen Einzelergebnissen (6) zusammensetzen kann. Mögliche Wechselwirkungen oder Überlagerungen mit (Vor-) Erkrankungen werden ebenfalls dokumentiert (7) und als gesicherte Diagnosen oder Verdachtsdiagnosen notiert (8). Sofern weitere Beobachtungen und Fragen notwendig sind, werden diese in einer Iteration (9) erfasst und weitere Untersuchungen dem Befund hinzugefügt (10). Andernfalls werden Behandlungsziele, therapeutische Maßnahmen oder ein Therapieplan erstellt (11).

Diese Ziele und Pläne (z.B. für eine OP; (13)) werden meist ebenfalls handschriftlich verfasst und dem Patienten mitgegeben; ersatzweise kann dies aber auch auf der eGK als digitale (Zugangs-) Version gespeichert werden (12). Wichtige Ergebnisse zur Erkrankung werden mittlerweile im PVS elektronisch aufgenommen und gespeichert (14); die elektronische Referenz kann auf dem Chip der eGK gespeichert werden (12). Sofern eine Einlieferung in ein Krankenhaus ansteht, können die Informationen über eine gesicherte Leitung (15) an ein Krankenhaus (KIS; (16)) übermittelt werden (eKrankenhausüberweisung).

Nach erfolgreicher Behandlung in einer Klinik kann dann der eArztbrief (17) an den Hausarzt elektronisch geschickt werden. Dieser kann zwecks Nachbesprechung (im Regelfall) wieder mittels eGK als Schlüssel vom Patienten (Smartcard-System [45]) (1; 12) eingesehen werden. Allgemein betrachtet handelt es sich um die normal geführte Ärzteakte zu einem Patienten, die elektronisch gespeichert bzw. ausgetauscht werden kann. Sie vereinfacht somit den Datenaustausch über Sektorengrenzen (Arzt-Arzt, Arzt-Klinik, Klinik-Arzt) hinweg.
 

Abbildung 3: Schematische Informationsobjekte der medizinischen Domäne [46]


Diese in der Abbildung genannten Arztbefragungen, Mitschriften, Maßnahmen, Geräteaufzeichnungen (EKG,…), Pläne usw. beinhalten logische Informationen, die bei einer Weiterbehandlung interessant sind. Diese Informationsobjekte oder Medizinischen Datenobjekte bilden die wesentlichen Informationen ab [47]:

  • (klinische) Dokumente jeglicher Art
  • einzelne klinische „Phänomene“
    • administrative und medizinische Maßnahmen (diagnostischer/therapeutischer/palliativer Art)
    • Symptome
    • Diagnosen
    • Behandlungsziele
    • klinische Notizen (klassifiziert nach Vorfällen, Verlaufsnotizen etc.)
  • spezielle Aggregatdokumentationen
    • Laborwertdokumentation als spezielle Aggregation aller labormedizinischen Maßnahmen
    • Medikationsdokumentation als spezielle Aggregation aller medikationsbezogenen Maßnahmen und Aktionen (Verordnung, Ausgabe, Verabreichung/Einnahme)
  • ergänzende „Spezialdokumentationen“, vor allem
    • sonstige fachspezifische weitergehende strukturierte Dokumentationen
    • spezielle Pässe (Impfpass, Mutterpass,…)
  • „Virtuelle Sichten“ auf die granularen Akteninhalte bzw. Aggregationen, z. B.
    • Notfalldaten
    • klinische Basisdokumentation

Diese Informationen werden über definierte Strukturen (RIM – Reference Information Model; HL7-Standard) gespeichert. Siehe hierzu auch Unterpunkt 6.1.

Es bestehen für die ePA sechs modulare Interaktionsmuster (funktionale Anforderungen), die frei kombiniert werden können [48]; vgl. Abbildung 3

  • Anfordern von Daten durch eine Ärztin oder einen Arzt (asynchron)
  • Bereitstellen von Daten durch die Bürgerin oder den Bürger (asynchron)
  • Anfordern von Daten durch die Bürgerin bzw. den Bürger (asynchron)
  • Bereitstellen von Daten durch die Ärztin bzw. den Arzt (asynchron)
  • Einstellen von Daten in eine Akte (synchron)
  • Abrufen von Daten aus einer Akte (synchron)

4.2.2 Patientengeführt

Die ePA kann über eine Plattform (internetbasiert) auch vom Patienten geführt werden, was aber zu den weiter oben genannten Unzulänglichkeiten (Datenintegrität, Vollkommenheit, etc.) führen kann: „Aus Gründen des Datenschutzes entscheidet der Patient über den Inhalt mit; er legt fest, welche Daten gespeichert oder gelöscht werden. Für den behandelnden Arzt hat die patientengeführte Akte daher nur einen begrenzten Nutzen: Er kann sich nicht darauf verlassen, dass ihm alle relevanten Informationen vorliegen.“ [49] Bis jetzt hat sich eine patientengeführte Patientenakte nicht durchsetzen können.

Ein Spezialfall bildet die sogenannte fePA - die fallorientierte Patientenakte. Nach Boeske et al. stellen „angeschlossene Ärzte […] im vorher vereinbarten Umfang diagnosebezogene Inhalte in eine Patientenakte ein. Jeder behandelnde Arzt verwaltet dabei die durch ihn eingestellten Dokumente in einem eigenen „Ordner“, auf die andere angeschlossene Ärzte lesenden Zugriff haben können. Der Patient bestimmt mittels elektronischer Querverweise und Zugriffscodes (Tickets), welcher Health Professional Zugriff auf die Daten bekommt.“ [50]





[37] Die englische Version ist das „electronic health record“ (EHR).
[38] Prinzipiell soll über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) auf die ePA zugegriffen werden, d.h. die eGK wird zum Zugangsschlüssel für die ePA.
[39] Manche Menschen reagieren überempfindlich auf bestimmte Inhaltsstoffe der Arznei. Nach dem Institut für Medizinische Diagnostik Berlin-Potsdam zeigen „8 % der ambulant behandelten und 20 % der hospitalisierten Patienten […] unerwünschte Arzneimittelreaktionen. Dabei handelt es sich in 80 % der Fälle nicht um Allergien sondern um unerwünschte »Neben«- Effekte der Wirksubstanz. Trotzdem ist der Anteil an echten Medikamentenallergien mit 20% immer noch beachtlich“ Quelle: http://www.imd-berlin.de/fileadmin/user_upload/Diag_Info/ 108_Medikamentenunvertraeglichkeit.pdf.
[40] Eine ePA kann im Vorfeld einer (geplanten) Operation helfen, indem umfangreiche Informationen über ehemalige medizinische Prozeduren zur Verfügung stehen. „Gerade die Tatsache, dass Patientinnen und Patienten oftmals gar nicht oder nur sehr ungenau Auskunft über Vorbehandlungen und ihre Vorgeschichte geben können, erschwert oftmals das adäquate zeitnahe Handeln“ (ZTG-AK EPA/EFA, S. 10)
[41] ZTG-AK EPA/EFA, S. 9
[42] Einschränkung: da es sich um Daten unter Patientenhoheit handelt, ist es möglich, dass die Daten in der ePA kein vollständiges Abbild der ärztlichen Dokumentation zeigen; vgl. Beyer et al., 2013, S. 133
[43] vgl. Bales et al., 200
[44] Beyer et al., 2013, S. 131
[45] vgl. http://www.aerzteblatt.de/archiv/146894/Elektronische-Patientenakten-Deutschland-und-Oesterreich-im-Vergleich-Literatur-und-Link
[46] Quelle: eigene Darstellung
[47] ZTG-AK EPA/EFA, 2011, S. 21
[48] ZTG-AK EPA/EFA, 2011, S. 28f.
[49] vgl. http://www.efa.fraunhofer.de/de/EFA-FAQ-haefig-gestellte-Fragen/was-unterscheidet-die-fallakte-von-einer-patientenakte-.html
[50] Boeske et al., 2004, S. 13