Eröffnung & Gerhard Wolfrum
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Gerhard Wolfrum

Dipl.-Psych. Gerhard Wolfrum qualifizierte sich als Psychologischen Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Fach-Psychotherapeut für Traumatherapie. Er arbeitete bei verschiedenen wissenschaftlichen Projekten (z.B. Projektleitung Fernstudium im Medienverbund, Deutsche Herz-Kreislauf-Präventions-Studie), als Assistent am Psychologischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg, in Psychiatrischen und Psychosomatischen Kliniken, leitete bis 2013 das Zentrum für Psychotraumatologie an der Klinik für Berufskrankheiten in Bad Reichenhall, ist seitdem nur noch in seiner auf Traumafolgen spezialisierten Privatpraxis und als Brainspotting-Therapeut, Trainer und Supervisor sowie als Dozent im Trauma-Hilfe-Zentrum München (THZM), der ZIST-Akademie, der Akademie Heiligenfeld, den Psychotherapietagen NRW und dem Milton-Erickson-Institut Heidelberg tätig.

Ausbildung zum Brainspotting-Therapeuten, Supervisor und Trainer durch David Grand, New York), 2017 Übertragung der Deutschland-Repräsentanz für Brainspotting.

Veröffentlichungen (Auswahl): Brainspotting – Trauma, Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen, 3/2017. Kröning: Asanger, 2018.“The Power of Brainspotting“ – An
International Anthology (Ed.). Kröning: Asanger 2020. „Das Lehrbuch Brainspotting – ein neuer Weg in der Traumatherapie“. Kröning: Asanger

Praxis in München-Haidhausen: www.brainspotting-germany.de und www.gerhard-wolfrum.de
Abstract: Brainspotting – die von Dr. David Grand entdeckte und entwickelte traumatherapeutische Methode, um emotionale und körperliche Belastungs-erfahrungen besser verarbeiten zu können

Brainspotting mit seinen Besonderheiten als Buttom-up-Verfahren ist in Deutschland immer noch wenig bekannt und wird dank fehlender Erfahrung oft mißverstanden. Vielleicht liegt dies an der Dominanz von EMDR, sicherlich aber auch daran, daß es zu Brainspotting bisher noch kaum empirische Studien gibt.


Was mich am meisten an Brainspotting fasziniert ist die vorrangige Orientierung an der Körperebene – meiner Ansicht nach die tiefste Ebene von Wahrheit. Epigenetische Studien legen nahe, daß die Zellen des Körpers sich an Umwelteinflüsse erinnern und Beziehungserfahrungen molekular-biologisch eingespeichert werden. Aber auch die besondere Haltung des/r TherapeutIn ist sehr bedeutsam: Er oder sie ist nicht „der große Zampano“, von dem der Therapieprozeß gesteuert und weitgehend kontrolliert wird, sondern er oder sie ist bestenfalls ein „Ermöglicher“. TherapeutInnen müssen dementsprechend in der Lage sein, eine vertrauensvolle Arbeitsbasis und Behandlungsbedingungen herzustellen, sich auf eine emotionale Beziehung zu den Patienten einzulassen und entsprechend dem „Uncertainty-Principle“ und der „Kometen-Metapher“ den Vorgaben der Patienten, dem Prozeß-Verlauf und den möglichen Überraschungen zu folgen – ohne steuernd oder kontrollierend oder mit verbalen, meist störenden Interventionen den Prozeß zu beeinflussen. Geschuldet ist dies den in den meisten psycho-therapeutischen Verfahren zu wenig berücksichtigten Erkenntnissen, daß unser Hirn als ein selbstreferentielles, sich selbst organisierendes, nicht-lineares und komplexes System überwiegend im Selbstdialog mit sich selbst beschäftigt ist und seine Hauptaufgabe darin besteht, unser Überleben zu sichern. Das Gehirn als „ultimativer Scanner“ – wie diese David Grand mal formulierte - ist für die Überwachung und die Anpassung all unserer körperlichen und mentalen Funktionen zuständig und versucht 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche die Homöostase aller inneren Systeme zu sichern oder wieder herzustellen. Wäre unser Hirn dazu nicht in der Lage, wären wir alle schon längst tot. Diese interne Regulationsfähigkeit kann aber bekanntlich durch traumatische Erfahrungen überfordert werden, das Hirn ist dann nicht mehr in der Lage Erfahrungen zu „synthetisieren“ – hier ist vor allem der Hippokampus gefragt – das traumatische Belastungs-Material bleibt in „Rohform“ auf der Amygdala- und auf der Körper-Ebene gespeichert und belastet nicht nur den Energie-Haushalt des ansonsten ökonomisch arbeitenden Gehirns, sondern führt auch zur Symptombildung. Diese „Erinnerungs-Abzesse“ (Sachsse, 2004) lassen sich mithilfe von Brainspotting über sog. „Brainspots“ auflösen und scheinen tatsächlich dem Stressverarbeitungssystem nicht nur eine bessere Integration traumatischer und abgespaltener Erfahrungen zu ermöglichen, sondern auch dem ganzen System zu helfen, aus der Dysregulation in ein besseres homöstatisches Gleichgewicht zu kommen und die „Schieflage“ zwischen Sympathikus und Parasympathikus zu reduzieren.


Es bedarf bei Brainspotting also keiner Manuale oder detaillierter Handlungs-anweisungen, sondern neben einer guten Grundausbildung vor allem einer therapeutischen Haltung von Geduld, empathischem Interesse einerseits und Zurückhaltung andererseits einer Bereitschaft, die Patienten bei der Begegnung mit traumatischen Erfahrungen zu begleiten und ihnen zu helfen, das „Unfaßbare“ einzuordnen, neu bewerten und integrieren zu können – und dies kann unser Stressverarbeitungssystem viel besser als jeder oder jede TherapeutIn – man muß es nur lassen. Eine gute Grundausbildung ist unabdingbar, um zu wissen, daß es auch Patienten jenseits des Toleranzfenstern gibt, die spezifischere Angebote brauchen, um vor Überflutung geschützt zu bleiben – das Dosieren und Titrieren muß erlernt werden. Wenn der Körper zum „Sprechen“ gebracht wird, kann Brainspotting selbstregulative Veränderungs- und Heilungsprozesse in Gang setzen, was mit anderen überwiegend kognitiv angelegten Verfahren nach meiner Erfahrung deutlich mehr Zeit – und damit auch Geld – erfordert.


Das Entscheidende an Brainspotting ist also erstens die grundsätzlich andere Haltung der Therapeuten („Realitäten-Kellner“ nach Gunther Schmidt), zweitens der „Einstieg“ über die Körperebene, drittens das sog. „dual attunement“ – die Berücksichtigung der Beziehungs-Ebene und die genaue Beobachtung der Physiologie der Patienten, viertens die Nutzung des Visualsystems, fünftens die grundsätzliche Prozeßorientierung, d.h. die Therapeuten sollten in der Lage sein einen Verarbeitungsprozeß anzustoßen und ohne Vorannahmen zu begleiten, die Patienten müssen nicht mal offen machen, um was es inhaltlich geht – sehr hilfreich bei schambesetzten Themen – und sechstens zu verstehen, daß unser Stressverarbeitungssystem bzw. unser Hirn ein selbstreferentielles, sich selbst organisierendes, nicht-lineares komplexes System ist, was in einem sicheren und vertrauensvollen therapeutischen Rahmen Instabilitäten und gespeicherte Dysbalancen zulassen kann, damit diese besser einreguliert und integriert und dissoziative Barrieren aufgehoben werden können – der oder die TherapeutIn sind also keine Heiler, sondern bestenfalls Ermöglicher, welche die immanenten Scan-Fähigkeiten unseres Hirns nutzen und damit Selbstorganisation zu ermöglichen.


Sigmund Freud hätte sicherlich gestaunt – das hätte ich gerne miterlebt.